Schuhe im Mittelalter

Schon im Mittelalter gehörten Schuhe zu den häufigsten Erzeugnisse des Leder verarbeitenden Gewerbes. Auch bei archäologischen Grabungen kommen Schuhe oder Teilfragmente immer wieder zum Vorschein, obwohl sich Leder, als Naturprodukt, im Boden verhältnismäßig schnell zersetzt. Überall dort, wo zersetzende Mikroorganismen mangels Sauerstoff nicht tätig werden können, bleibt das Fundgut auch über lange Zeiträume erhalten. Die am häufigsten auftretenden Fundstücke sind dabei die Schuhe. Dieses ist nicht erstaunlich, weil die Schuhmacherei bei der gesamten Lederverarbeitung den zahlenmäßig bedeutendsten Produktionszweig darstellte. Ebenso führten die schlechten Straßen- und Wegeverhältnisse sowie die verhältnismäßig einfache Konstruktion der Schuhe zu einem raschen Verschleiß des Schuhwerks und somit zu einer erhöhten Nachfrage.


Wer nicht in der Lage war sich neue Schuhe anzuschaffen, brachte die alten Schuhe zum Flickschuster oder reparierte sie eigenhändig, was durch zahlreiche archäologische Schuhfunde belegt ist.

Man weiß im einzelnen nicht, wie hoch der individuelle Schuhverbrauch war, spätmittelalterlichen Schriftquellen zufolge muss er erheblich gewesen sein. Darin ist zu lesen, dass beispielsweise Knechte zusätzlich zu ihrer Entlohnung im Schnitt 3-8 Paar Schuhe pro Jahr erhielten oder dass eine Familie mit Angehörigen und Gesinde pro Halbjahr über 100 Paar Schuhe benötigten. Unseren Erfahrungen nach kann man von ca. 2-3 Monaten bis zur ersten Reparatur ausgehen, dies hängt aber natürlich stark von der Qualität der Schuhe und vom Pflegezustand ab. Auch die Benutzungsintensität ist bedeutend da ein Bote die Schuhe natürlich mehr beansprucht als ein Prokurist.

Die Kurzlebigkeit des Schuhwerks und die damit verbunden hohe Zahl an Funden bieten der Archäologie die besten Voraussetzungen mehr über Stilentwicklungen, Fertigungstechniken, Modeerscheinungen und das Handwerk zu erfahren. Auch was den sozialen Stand der Träger oder die Gesundheitszustände der Füße anbelangt, lässt sich aus den Funden viele Informationen heraus lesen. Ungewöhnliche Abnutzungsspuren oder punktuell entferne Lederteile lassen auf Deformationen des Fußes (Hallux valgus, Hallux rigidus oder Hammerzehen) sowie schmerzhafte Entzündungen schließen.

Im Hinblick auf den ernormen Bedarf an Schuhen verbrauchten die Schuhmacher zweifelsohne den überwiegenden Teil der zur Verfügung stehenden Lederhäute innerhalb einer mittelalterlichen Stadt. Zu Beginn gerbten die Schuhmacher ihre Tierfelle noch selbst, doch vollzog sich mit der Entstehung der Zünfte eine kontinuierliche Abgrenzung der verschiedenen Gewerke. Im Jahr 1413 wurde beispielsweise in der Stadt Konstanz beschlossen, dass die Schuhmacher keine Rohhäute mehr kaufen durften. Dafür waren nunmehr die Gerber zuständig.

Die Zünfte der Schuhmacher gehörten nicht nur zu den ältesten in den mittelalterlichen Städten, sie genossen zudem einen sehr hohen wirtschaftlichen und politischen Einfluss.
Häufig besaßen Schuhmachermeister neben ihren Werkstätten auch Verkaufsräume, beschäftigten Gesellen und Lehrlinge. Weitaus weniger angesehen waren dagegen die so genannten Flickschuster und Altmacher, die meist in kleinen Werkstätten oder auf Wanderschaft ihr Handwerk ausübten.
 

Flickschuster und Altmacher

Auch wenn oftmals das Handwerk der Flickschuster und der Altmacher ebenso wichtig war wie das der Schuhmacher, genossen sie jedoch niemals deren Ansehen. Während die Flickschuster kaputte oder verschlissene Schuhe reparierten, kaufte der Altmacher abgetragene Schuhe auf, erneuerte diese und verkaufte sie dann wieder. Dazu wurde der Schuh an der Sohlennaht aufgetrennt und die am unteren Schaftteil vorhandenen alten Nahtlöcher abgetrennt. Der Altmacher nähte dann einfach eine neue Sohle an, die Schuhe waren dann eine Nummer kleiner aber dafür fast neuwertig. An zahlreichen Fundobjekten befinden sich Hinweise auf die Ausübung dieser Handwerksarten, wie z.B. die
häufig vorkommenden Sohlenflicken sowie die in sehr großer Menge vorkommenden abgeschnittenen Lederstreifen mit Lochung. Aus einer Handwerksbeschreibung des 17. Jahrhunderts geht die Bedeutung hervor, die das Handwerk des Flickschusters und des Altmachers insbesondere für den unteren Stand der Bevölkerung hatte. ?Wie nun das Doppeln der Schuhe eine ohnedem nützliche Sache ist, wodurch man offt ein neues Paar erspahren kan, so ist dieses Handwerck denen Armen um so viel desto zuträglicher, weil sie nicht nur selbige mehrmals flicken, sondern auch wann sie nicht so viel erübrigen, dass sie die neuen Schuhe dem Schuster bezahlen können, altgeflückte Schuhe bei dem Altmacher kauffen, und je so wohl darinnen hurtig fortlauffen....? (M.Wagner, Handwerk um 1700).
 

Die Herstellungstechniken

Selten gelingt es bei Ausgrabungen, eine Schuster-Werkstatt archäologisch aufzuspüren. Oft handelt es sich hier um Werkstätten der Altmacher oder Flickschuster, da es sich meist um Ansammlungen von nicht mehr reparierbaren Schuhen, Flicken, abgerissenen Riemen und die oben erwähnten Lederstreifen mit Lochung handelt Eine Vielzahl von Schuhfunden stammen auch aus Kloaken, Hinterhöfen oder Stadtgräben, wo über Jahre Abfälle deponiert wurden. Dabei handelt es sich erstaunlicherweise häufig um einzelne Schuhe, die ausgedient hatten und weggeworfen wurden. Auch in Kirchengrüften sind verschiedene Schuhpaare gefunden worden. Diese Fundquellen sowie zahlreiche Abbildungen von Schuhmachern oder Schuhen ermöglichen es uns heute, ein Bild des Schuhhandwerks und der damals gängigen Schuhmode zu rekonstruieren.

Die am häufigsten verwendeten Lederarten stammen von Häuten von Ziegen, Schafen, Kälbern und Rindern. Eine Londoner Zunftregel aus dem Jahr 1303 erlaubte es den Schuhmachern nicht, unterschiedliche Lederarten an einem Schuh zu verarbeiten. Lederartenanalysen beweisen jedoch, dass diese Vorschrift auch übertreten wurde bzw. in anderen Regionen nicht bekannt war. Während des Mittelalters fand ein Wechsel in der Verwendung der verschiedenen Lederarten statt: während vom 8. bis 12. Jahrhundert Schuhe vor allem aus Ziegenleder hergestellt wurden, trat ab dem 13. Jahrhundert das Kalb- und Rindsleder in den Vordergrund.

Der Zuschnitt der einzelnen Schuhteile erfolgte mit einem gerundeten Zuschneidemesser. Auf bildlichen Darstellungen sowie in Zunftzeichen taucht dieses, für die Lederverarbeitung typische Werkzeug, immer wieder als Kennzeichen des Schuhhandwerks auf. Ökonomisch durchdachte Schnittmuster vermieden einen unnötigen Verschnitt. Abhängig von der jeweiligen Schuhform oder dem Talent des Zuschneiders wurden Ergänzungen von Teilstücken im Oberleder erforderlich. Diese Lederstücke entnahm man häufig den Schnittabfällen. Während anfangs die Schnitte für das Oberleder aus einem Stück bestanden, das in der Innenseite des Fußes vernäht wurde, ging man Mitte des 14. Jahrhunderts häufig dazu über, Vor- und Rückfuß getrennt zuzuschneiden.

Bis zum Ende des 15. Jahrhundert wurden die Schuhe wendegenäht, das bedeutet, man nähte das Oberleder und das Sohlenleder auf links zusammen (Fleischseite des Leders). Anschließend wurde der Schuhe gewendet, so dass die wasserabstoßende Seite des Leders (Narbenseite) außen war. Mit einer Ahle wurden die Nahtlöcher vorgestochen. Zum Nähen verwendete man pech- oder wachsgetränkten Hanf- oder Leinenzwirn. Mit angepichten Wildschweinborsten wurde das Garn durch die vorgestochenen Löcher geführt. Alle wichtigen Nähte wurden mit zwei Fäden gleichzeitig genäht, wobei sich die Fäden in der Nahtlängsachse bei jedem Stich überkreuzten. Vorteilhaft an dieser Nähweise ist, dass man den Zwirn sehr fest anziehen kann und selbst bei einem Reißen des Garns an einer Stelle die restliche Naht dennoch sehr stabil bleibt und Reparaturen problemlos möglich sind. Die typische Körperhaltung während des Fadenzugs mit beidseitig ausgestreckten Armen findet sich auf zahlreichen bildlichen Darstellungen des Schusterhandwerks wieder.

Ab dem 13. Jahrhundert begann eine Differenzierung bei den Fertigungstechniken. Mittels eines schmalen Lederstreifens verstärkte man die Verbindungsnaht vom Oberleder zum Sohlenleder. Dieses erhöhte auch die Dichtigkeit des Schuhes enorm. Ab dem Spätmittelalter wurden auch einzelne Sohlenpartien (Sohlenflicken Vorn und Hinten) direkt bei neuen Schuhen am Randstreifen befestigt. Diese schützen vor all zu schneller Abnutzung und machte es dem Flickschuster leichter, einzelne Sohlenpartien zu reparieren. Stärker beanspruchte Stellen des Oberleders im Fersen oder Ballenbereich oder in der Verschlussregion wurden schon sehr früh mit einer zweiten Lederschicht von innen versteift. Diese Teilstücke wurden nur durch das halbe Leder genäht, so dass von außen keine Naht zu sehen ist. Schrittweise führten die fertigungs-technischen Verbesserungen zu den in der Wende zum 16. Jahrhunderts zum ersten Mal auftretenden rahmen und zwiegenähten Schuhen. Um so erstaunlicher ist es, dass die ersten Kuhmaulschuhe sowohl in einer rahmengenähten als auch parallel in einer wendegenähten Variante auftraten. Offensichtlich wurde hier versucht neue modische Ansprüche der Kunden ohne genaue Kenntnisse der Fertigung umzusetzen. Diese Fertigungsart blieb bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten.
 

Die Schuhformen

Das mittelalterliche Schuhwerk war nach Fundobjekten zu urteilen sehr vielfältig. Dabei wurden Halbschuhe von höheren Schuhformen oder Stiefeln unterschieden. Zahlreiche Details, wie diverse Schnittmuster, Arten von Verschlüssen oder Verzierungen ließen zahlreiche Variationen zu. Abgesehen von der Größe gab es keine Unterschiede zwischen Männer-, Frauen- und Kinderschuhen. Im Gegensatz dazu verhielt es sich mit der Kennzeichnung von Standesunterschieden. Der Schuh als wichtiges Accessoire der Bekleidung war letztendlich auch ein Spiegel des gesellschaftlichen Rangs seines Besitzers. Während den einfachen Leute das Schuhwerk als Schutz gegen Nässe, Kälte, Schläge und Stöße diente, also die Zweckmäßigkeit im Vordergrund stand, legte der Patrizier einen weitaus größeren Wert auf vornehme Kleidsamkeit, die seiner übrigen Standestracht entsprechen sollte. Dem entsprechend selten werden extravagante Schuhe der reicheren Bevölkerungsschichten bei Ausgrabungen geborgen.

Kleider- sowie Schuhspenden als Bestandteil einer religiösen Lebensweise verhalfen oftmals auch den ärmsten Mitgliedern der städtischen Gesellschaft zu Schuhen. Auf spätmittelalterlichen Darstellungen wird Armut darin ausgedrückt, dass die betreffende Person entweder teilweise barfuss zu sehen ist oder Schuhe tragen, die an der Spitze so verschlissen sind, dass die Zehen zum Vorschein kommen. Auch gibt es Abbildungen auf denen zwei verschiedene Schuhe getragen werden, was dafür spräche, dass einzelne, defekte Schuhe entsorgt worden sind, während der intakte Schuh noch weiter getragen wurde.
Auf einigen Abbildungen des Spätmittelalters sind Soldaten zu sehen, die Schuhe aus geflochtenem Stroh trugen. Diese sind jedoch eher selten und konnten aufgrund des sich schnell zersetzenden Materials bislang bei Ausgrabungen nicht geborgen werden. Gleiches gilt auch für vereinzelte Darstellungen, wo scheinbar die Soldatenschuhe benagelt waren. Auch hier konnten bei Ausgrabungen noch keine Schuhnägel geborgen werden. Somit stehen der Forschung hauptsächlich die Schuhe der breiten Schicht des städtischen Bürgertums, bestehend aus Handwerkern, Gewerbetreibenden und Kaufleuten zur Verfügung.

Zu den am weitesten verbreiten Schuhmodellen zählen die Schuhe mit einem Knöchel hohen Schaft. Gerade bei Kindergrößen ist diese, eher nach praktischen als ästhetischen Gesichtspunkten entwickelte Schuhform, mit einer Verschnürung um den Knöchel durch zwei bis mehrere Ösenpaare häufig anzutreffen. Im 14. Jahrhundert geht man zu einem Schnürverschluss an der Seite oder am Schienbein über. Parallel dazu treten auch Schuhe mit Knöpf- oder Knebelverschluß auf. Auch Schuhe mit einem hohen geschlossenen Schaft, die so genannten Schaftstiefel, gehörten ab dem 13. Jahrhundert zum mittelalterlichen Schuhrepertoire. Wer es sich leisten konnte, trug Stiefel, die mit einem feinen Leder unterfüttert waren. Bei den Halbschuhen war die modische Entwicklung am weitesten ausgeprägt, wobei auch hier in erster Linie die Formenvielfalt durch unterschiedliche Verschlussarten bestimmt wird. Unterschiedliche Arten der Verschnürung ? um den Knöchel, seitlich oder auf dem Fuß ? sind dabei ebenso häufig anzutreffen , wie Riemen-, Schnallen-, Knöpf- oder Knebelverschlüsse. Oftmals treten auch Schlupfschuhe in zahlreichen Varianten auf. Zu den eleganteren und im 15. Jahrhundert weit verbreiteten Modellen zählte der Schnabelschuh. Dieser Schuh ist auf Abbildungen des Spätmittelalters in fast allen Bevölkerungsschichten anzutreffen. Selbst zahlreiche Abbildungen von Soldaten, die diesen Schuh auf dem Schlachtfeld trugen, zeigt dessen hohe Beliebtheit. Bisweilen findet man auch besonders reich verzierte Modell, zumeist in Durchbrucharbeiten, deren Besitzer wohl zu den vermögenderen Bürgern zählten.
 

Trippen

Auch wenn die Anfertigung von Trippen ein eigener Berufszweig darstellte und den Trippenmacher vorbehalten war, möchten wir der Vollständigkeit halber hier eine kurze Zusammenfassung liefern.

Um die Schuhe vor Straßenschmutz und die Füße gegen Kälte zu schützen, trug man häufig Trippen.
Dies waren zum einen die Ledertrippen die ähnlich einer Sandale aus einem Lederbespannten Korkkern oder mehreren Lagen Sohlenleder bestanden und oftmals sehr zierlich und aufwendig gestaltet waren. Verschiedene Trippen haben sich bis heute erhalten.
Auf Abbildungen sieht man diese feinen Trippen meist an wohlgekleideten Personen und häufig in Verbindung mit Schlupf/Schnabelschuhen. Auch ist auffällig das dieser Typ nur auf/in befestigten Plätzen und Räumen benutzt wird.

Zum Anderen gibt es noch die etwas gewöhnlichere Holztrippen. Auch diese konnten mehr oder weniger aufwendig gearbeitet sein. Die Formen der hölzernen Trippen waren recht vielseitig. Sie waren flach mit oder ohne Gelenk sein und von unterschiedlicher Höhe.
Gerade bei den hohen Trippen ist es sehr wichtig das sie sehr genau gearbeitet wurden,
damit sie beim gehen nicht zu sehr störten. Auf Abbildungen ist sehr genau zu erkennen das sie teilweise mit Schränkung (d.h. die Hacke ist höher als der Vorderfuß) und mit leichtem Fußbett gearbeitet sind, auch werden die Stege nach unten hin breiter, so das sie nicht zur Seite kippen. Befestigt wurden die Holztrippen mittels einer sandalen ähnlichen Lederkonstruktion, welche seitlich an die Holztrippen genagelt wurden. Als Holz verwendete man ausschließlich Pappelholz, weil sich dieses Holz in frisch geschlagenem Zustand sehr gut bearbeiten lässt. Durch die Trockung wird das Holz zäh und leicht, was zu einen gewissen Tragekomfort führt.
Harthölzer sind in den Funden nicht nachzuweisen und aus eigenen Versuchen auch nicht praktikabel, da die Trippen dann unangenehm schwer werden oder sehr schnell reißen..
Auf Darstellungen sind als typische Handwerkzeuge häufig ein Hauklotz und Dechsel zu sehen.


Autoren: Frank Becker und Christian Pohen
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