Der Used-Look und die mittelalterliche Darstellung. Teil 3

 

Obwohl wir nun allerlei darüber gelernt und gelesen haben, was guter Schmutz ist, was er mit unserer Darstellung tut und wieso es nicht immer ratsam ist, sofort Drahtbürste und Schmodderschwamm zu zücken, blieb eine Frage bisher relativ unbeantwortet: Wieviel Schmutz ist denn nun guter Schmutz? Und wie verdammt nochmal, kommt der auf meine Klamotten? Gute Frage. Gehen wir an dieser Stelle ein wenig… „methodischer“… vor…

 

Vom Leben lernen, heißt siegen lernen. Oder von Hollywood.

 

Will man bei der authentischen Abnutzung seiner Klamotte wirklich All-In gehen, orientiert man sich am besten am Fantasy-Traummann der frühen 2000er: Viggo Mortensen. Der personifizierte Alptraum eines jeden Requisiteurs hat für seine Rolle als Aragorn voll auf Method Acting gesetzt und ist mit seiner Filmklamotte erstmal fröhlich durch den Wald wandern und joggen gegangen. Einige Stunden, Kilometer und sämtliche denkbaren Körperbewegungen später, waren sie nicht nur verschwitzt und schmutzig, sondern an manchen Stellen auch gerissen. Was folgte war ein Langzeittest, in dem der gute Viggo seine Klamotte an den Rand der Erschöpfung getrieben, die unbequemen, unpraktischen Stellen kaputt gemacht und dann mit eigenen Händen wieder zusammengenäht hat… Waldläufer Style Deluxe! Natürlich mag das grenzwertig und überzogen erscheinen (ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er ein echt intimes Bonding mit seinem Schwert hatte, es mit in Restaurants und Cafes genommen und damit mehr als einen Polizeieinsatz verursacht hat…), aber an der Großartigkeit des Ergebnisses besteht kein Zweifel.

 

Man muss nicht gleich manisch werden und die Ordnungshüter seiner Region (und harmlose Gastronomieangestellte) in Aufruhr versetzen, wenn man dem Grundgedanken von Mr. Mortensen folgen will: Die authentischste Form der Abnutzung entsteht durch Nutzung! [An dieser Stelle bitte einen Tusch vorstellen.] Es gibt eine ganze Reihe von ungefährlichen, unspektakulären Tätigkeiten, die sich im Großen und Ganzen seit Jahrhunderten nicht verändert haben: Holz hacken, Kochen, Leder fetten, Waldspaziergänge und so weiter. Wer es wirklich darauf anlegt, seine Klamotten authentisch und dauerhaft mit einem Used Look zu versehen, der sollte abwägen, ob er all diese Dinge nicht einfach mal in seiner Hobbyklamotten erledigen möchte. Gerade bei Waldspaziergängen querfeldein in IT-Schuhen (wenn man dem Internetz glaubt, gerade für Larper die größte Gefahr, der man sich aussetzen kann), erledigt das glatte Profil in Kombination mit feuchtem Waldboden den Rest… ;) Das Beste an der Sache: Fast alle diese Ding kann man auch hervorragend auf den meisten Veranstaltungen machen! Also habt keine Furcht! Vor allem nicht die, euch schmutzig zu machen, wenn ihr auch alltägliche Dinge (in der Logik eurer Rolle) erledigt! Immer daran denken: Wenn ich schmutzig werde, wenn ich authentische Tätigkeiten verrichte, werde ich eigentlich gar nicht schmutzig! Ich erweitere meine Darstellung (und vor allem meine Klamotten) um eine Patina Authentizität!

 

Alles hat seine Grenze… ganz ehrlich!

 

Natürlich gibt es den Punkt, an dem man einfach kopfschüttelnd „Nee!“ sagt und den ganzen Spaß des Verranzens nicht mehr mitmacht. Oder anders gesagt: Nur wahnsinnige Geister und manische Steilgeher überschreiten diese feine Linie. Ironischerweise sind es besonders Reenacter bzw. Reenlarper die irgendwo eine Grenze ziehen und die Handbremse auf Anschlag hochreißen. Und ja verdammt, ich verstehe das durchaus. Mein teuerstes Hobbykleidungsstück ist ein Kaftan aus krappgefärbtem Diamantköper aus Wolle, besetzt mit byzantinischer Seide, handvernäht mit pflanzengefärbtem Seidengarn und besetzt mit authentischen (HA!) Bronzeknöpfen nach Fundlage… ganz im Ernst…, wenn ich jemanden dabei erwischen würde, wie er oder sie mit Drahtbürste und Schmierfett diesem Prachtstück zu nahe kommt, würde ich ihn oder sie vermutlich durch die nächste Wand werfen. Und das wäre okay. Zugegeben, okay wäre es vermutlich nicht, aber zumindest seeeehr nachvollziehbar. Auch bei der teuersten und edelsten Klamotte der Darstellung, sei es nur der Prunkkaftan, das Damast-Gewand, die handgewebte Seidentunika oder was auch immer: Es wird der Moment kommen, an dem Weinflecken, Kunstblutspritzer, Funkenflug oder eine beliebige, schmierig ölige Substanz ihre dreckigen Finger an den feinen Zwirn legen. Der Tag wird kommen. Es ist unvermeidlich. Man muss und vor allem sollte man den Tränen dieses Tages nicht vorweggreifen, indem man zur Drahtbürste greift…

 

Fazit.

 

Tatsächlich ist die Sache eigentlich ganz einfach. Mehr Dreck ist nicht immer eine Lösung, aber stimmiger Schmutz und stimmige Abnutzung der Alltagskleidung geben deinem Charakter nicht nur mehr Tiefe, sondern überzuckern dich auch mit einer daumendicken Schicht Authentizität. Du musst und solltest nicht blindwütig alles verranzen, denn deine gute Ausgehklamotte ist immer noch deine gute Ausgehklamotte und die wurde auch vor Jahrhunderten, in einer Welt mit deutlich mehr Schlamm und deutlich weniger Waschmittel gepflegt. Alltäglicher Schmutz, für alltägliche Klamotten! Geh es langsam an, denk ein bisschen über den Alltag deines Charakters nach und dann finde das richtige Maß an sinnvoller Verschmutzung, fertig! Wenn wir alle ein bisschen schmutziger sind und etwas weniger verkleidet, dann klappt das sogar mit der Immersion und alle haben was davon. Schönes, authentisches Spiel, in schönen, selektiv schmutzigen Klamotten… was für eine Zeit, um am Leben zu sein!

 

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